Digitalisierung – Fluch und Segen zugleich

Eine erste Einschätzung

Zunächst eine Vorbemerkung: Ich verabscheue Digitalisierung in keiner Weise. Ohne Digitalisierung stünden wir heute nicht da, wo wir sind. Wir schreiben keine Briefe mehr auf Papier, stecken sie in ein Kuvert, Briefmarke drauf, ab zur Post und dann warten bis sie den Empfänger erreichen. Sondern wir öffnen einfach das E- Mail- Programm, erstellen eine neue Nachricht und in wenigen Sekunden landet sie auf der anderen Seite unseres Erdballs, wenn wir das wollen. Wer kurze Nachrichten schnell an den Empfänger bringen will, der schreibt heutzutage kein Telegramm mehr. Er tippt eine Nachricht in seine Messenger App oder ganz Old School eine SMS auf dem Mobiltelefon ein und versendet sie. Das Telefon ist auch nicht mehr nur mit zwei Drähten verbunden, über welche wir per Impulswahlverfahren an verschiedenen Vermittlungsstellen, Relais zum Empfänger durchschalten, um mit ihm in schlechter Tonqualität zu telefonieren und ein hohes Entgelt dafür bezahlen. Per IP- Videotelefonie nutzen wir die Internet- Flatrate, um Menschen auf der ganzen Welt scharf und ohne Verlust der Tonqualität zu sehen und zu sprechen. Und ohne ABS, ESP sowie Abstandswarner wären wir vermutlich schon öfters im Straßengraben oder an einer Straßenlaterne gelandet.

Digitalisierung – Unser „Taktgeber“ im täglichen Leben 

Digitalisierung hat Vorteile. Genauso hat sie aber auch Nachteile. Immer schneller dreht sich die Welt. Und wer nicht ständig online und auf bekannten sozialen Plattformen unterwegs ist, wird schon bald vom sozialen Leben abgehängt. Inzwischen ist man häufig mit zwei, drei und mehr Dingen gleichzeitig beschäftigt. Die App- Betreiber freut‘s, je länger sich ein Nutzer mit ihrem Produkt beschäftigt. Während diese ihrem vermeintlichem „Glücksgefühl“ hinterher jagen, werden munter im Hintergrund Neigungen, Userverhalten, Bewegungsmuster gesammelt und ausgewertet. Die Folge von alledem ist, dass wir immer mehr gestresst sind und regelrecht süchtig nach digitalem Spielzeug sind.

Es ist ziemlich spannend, dass Alltagsleben von uns Deutschen zu beobachten. Und das beginnt bereits früh auf der Fahrt zum Kunden in der Bahn. Überall sitzen Menschen, welche nur noch auf ihre elektronische Spielzeuge sehen und wie eine Sekretärin mit Zehn- Finger- System Nachrichten hinein tippen, panisch hin und her scrollen bis endlich die nächste Nachricht auf dem Bildschirm erscheint oder der Benachrichtigungston die Erlösung bringt. Manchmal sogar sich selbst direkt gegenüber sitzen. Selbst die Zeit zum Gang von der Endhaltestelle bis zur Arbeitsstätte wird noch genutzt, um schnell der Freundin ein paar Zeilen zu schreiben und fast gegen ein Verkehrsschild zu laufen.

Noch extremer sind aber die Menschen, welche ständig Nachrichten auf ihr Telefon aufsprechen oder selbiges mit der Unterkante ans Ohr halten, um die Antwort sich anzuhören. Auch ein Smartphone hat noch Wähltasten, mit welchen man seinen gegenüber kurz anrufen und die allzu wichtige Mitteilung übermitteln kann. Gibt natürlich auch welche, die es wiederum übertreiben und den ganzen Zug mit ihren Gesprächen unterhalten. „Nein, mich interessiert überhaupt nicht, warum Dein Freund ein großes A… ist und Du Dich deshalb von ihm trennst“.

Aber nicht nur unseren privaten, sondern auch beruflichen Alltag hat die Digitalisierung inzwischen voll im Griff und viele von uns abhängig werden lassen. Schnell nochmal abends schauen, ob eine wichtige E- Mail gekommen ist, die Systeme noch laufen oder eine Aktion anschieben. Wir schreiben lieber Ping Pong- artig zehn E- Mails hin und her statt kurz mal zum Kollegen zu gehen oder diesen anzurufen, um ein Problem zu klären.

Selbst auf dem Nachttisch haben einige von uns ihr Telefon liegen. Jedes Mal, wenn das Teil anfängt zu leuchten oder vibrieren, richten wir uns auf, um darauf zu sehen. Es könnte ja etwas Lebensnotwendiges passiert sein oder etwas Unternehmenskritisches, welches die Firma in den Bankrott treibt.

Wie man sieht, hat Digitalisierung inzwischen eine große Auswirkung auf unser Leben:

  • Abhängigkeit von digitalen Geräten und Apps
  • soziale Abhängigkeit und zunehmende Komplexität in der Kommunikation
  • Zeitfresser
  • zunehmend fehlende konzentrierte, strukturierte Arbeits- und Alltagsabläufe
  • gestiegenes Stresslevel
  • fehlende Pausen

Digitalisierung leben ohne Abhängigkeit

Irgendwann stand ich vor der gleichen Herausforderung, wie man Digitalisierung leben kann, ohne dass man sich sein komplettes Leben von ihr diktieren lässt. Mir hat zunächst der Blick auf den Wochenbericht meines iPhones die Augen geöffnet, wie häufig ich das Gerät für welche Dinge einsetze.

Dann hatte ich vor einiger Zeit von einem Buch erfahren, welches sich mit dem Thema beschäftigt. Es heißt „Mindful Tech – How to Bring Balance to Our Digital Lives“ von David M. Levy (keine bezahlte Werbung). Anhand von verschiedenen Tagebuch- Übungen zeigt es uns, wie sehr uns das digitale Leben nicht nur physisch sondern auch psychisch beeinflusst. Es zeigt uns aber auch, wie wir besser mit dem digitalen Leben zurecht kommen und gibt verschiedene Fallbeispiele, in denen sich der ein oder andere sicherlich wiederfindet.

Es ist wichtig, sich für die verschiedene Aufgaben gewisse Zeitscheiben zu reservieren und so seinen digitalen Alltag besser zu strukturieren. Digitale und personelle Störquellen diplomatisch auf spätere Zeitscheiben zu verlagern, um so Aufgaben erfolgreich und schnellstmöglich abzuschließen. Denn je mehr Störfaktoren man gleichzeitig bedient, desto größer wird der eigene Berg an Aufgaben, die nie fertig werden.

Ein geregelter Tagesablauf im beruflichen wie privaten Bereich kann dazu ebenfalls gehören. 

Ich bin ebenso wenig Sprecher deutscher Gewerkschaften wie für Arbeitgeber. Aber auch Überstunden sollten maßvoll eingesetzt werden. Sicherlich, manchmal muss ein Projekt unbedingt fertig werden, lässt sich eine Aktion nur auf einen Tag am Wochenende oder zu einer frühen/ späten Stunde des Tages erledigen. Trotzdem sollte man aber immer bewerten, ob das Projekt wirklich so dringend ist, dass man es nicht auf den nächsten Tag verschieben oder ein Wartungsfenster für Systeme während der normalen Bürozeiten einrichten kann. Sonst wird aus der Ausnahme irgendwann die Regel bzw. man wird mit noch mehr Aufgaben betreut. Spätestens wenn man sich wie ein Business Money in einem Hamsterrad fühlt, sollte man etwas daran ändern bevor man mit Burn out in der Klinik landet. Denn so nützt einem Arbeitgeber die Arbeitskraft gar nichts mehr. Nicht zuletzt leidet darunter auch das Privatleben, v.a. wenn man Partner und Kinder hat. Deshalb sollten auch Arbeitgeber darauf achten, ihre Mitarbeiter mit einer ausgewogenen Work- Life- Balance und Sportangeboten zu unterstützen, um relativ lange von ihren Ressourcen zu profitieren. 

Auch im privaten Umfeld kann man etwas für einen kontrollierten digitalen Ablauf tun. Sich bewusst Zeitscheiben schaffen, in denen man E- Mails beantwortet, seine Social Media- Kanäle checkt. Andere Zeiten sich reserviert, um mit der Familie mal an die frische Luft zu gehen, bei schlechtem Wetter Gesellschaftsspiele wiederentdeckt, mit Freunden auf ein Bierchen trifft oder ein spannendes Buch liest. Auch mal gar nichts tun und sich bewusst eine Pause gönnen, kann sinnvoll sein.

Man sagt häufig „Sport ist Mord“. Tatsächlich kann eine Runde Laufen im Park, eine Tour mit dem Mountainbike sehr anstrengend sein. Aber es hilft in gleichem Maße, den Arbeitsstress zu vergessen und den Kopf wieder für neue Gedanken frei zu bekommen. Als Benefit stärkt es zusätzlich das Immunsystem und macht einen fitter für das Leben.

Sollte man tatsächlich die Weckfunktion seines Mobiltelefons benötigen, gibt es immer noch die Möglichkeit, sein Telefon auf Flugmodus zu stellen. Das nervige Klingeln, Leuchten und Vibrieren hört auf, man kann wieder einmal ganz durchschlafen und so seinem Körper die Regeneration geben, welche er nach einem anstrengenden Tag dringend benötigt.

Und wer sich eine komplette Auszeit gönnen will, dem empfehle ich Wandern in der Abgeschiedenheit der Natur. Vor drei Jahren war ich auf Urlaub u.a. im Yellowstone National Park. Mobilfunkempfang sucht man dort ebenso wie WLAN in den Lodges der Hotelanlage. Am Anfang schaut man noch auf das Telefon. Spätestens nach einen Tag stellt sich der Körper auf die wiedergewonnene Freiheit ein. Man nimmt Natur und Umwelt wieder viel intensiver war und entdeckt immer wieder neue Dinge und alte Gewohnheiten unserer Vorfahren. Am Ende war ich trotz der Wanderungen und abenteuerlichen Begegnungen mit Bären so entspannt, dass es mir nur schwer fiel, diesen Platz des Friedens wieder gegen den beruflichen Alltag in Deutschland zu tauschen.

Fazit

Digitalisierung ist aus dem Alltagsleben nicht mehr wegzudenken. Sie ist wichtig, um im zukünftigen privaten und beruflichen Alltag zurecht zu kommen und erleichtert in vielen Bereichen auch das Leben.

Genauso gut sollte man sich aber auch bewusste „Auszeiten“ von diesem Leben nehmen und u.U. auch mal wieder auf alte Gewohnheiten unserer Vorfahren zurück besinnen. Der eigene Körper wird es einem auf jeden Fall danken.

Auch wenn dieser Artikel nur einen kurzen Einblick in unseren digitalen Alltag geben kann, hoffe ich, dass es dem ein oder anderen die Augen geöffnet hat und wir alle bewusster damit umgehen.